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Fachkräftemangel Ein junger Mann in Camouflage T-Shirt und Blaumann sitzt in einer Werkstatt

Die Situation des Fachkräftemangels bleibt kritisch

Personalnot in Deutschland
Fast 1,8 Millionen offene Stellen gab es Ende 2023 – Tendenz steigend. Fachkräfte-Engpässe weiten sich bundesweit aus und verfestigen sich in einigen Berufsfeldern. Was Betriebe tun können und mit welchen Angeboten sie punkten.
Das Wichtigste in Kürze:
  • Bis zum Jahr 2035 könnten bis zu sieben Millionen Fachkräfte in Deutschland fehlen.

  • In einigen Regionen und Branchen ist es schon heute schwer bis unmöglich, offene Stellen mit geeigneten Fachkräften zu besetzten.

  • Unternehmen haben Möglichkeiten, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Die mittelständischen Unternehmen in Deutschland sind nach wie vor gut ausgelastet. Doch passende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind auf dem Arbeitsmarkt rar. Im April 2024 gab es in Deutschland insgesamt 701.366 offene Stellen, die bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldet waren.

Fachkräftesituation nach Berufen und Regionen

Laut Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK)  fehlen qualifizierte Menschen vor allem im Handwerk, in MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), in sozialen Bereichen wie Lehre und Erziehung aber auch in der Produktion und Fertigung sowie in der Baubranche und im Bereich Gebäudetechnik. Stark vom Fachkräftemangel betroffen sind darüber hinaus das Handels- und Dienstleistungsgewerbe sowie der Gesundheitssektor. Neben dem zunehmenden Bedarf an Alten- und Krankenpflegepersonal aufgrund der zunehmenden Alterung der Gesellschaft, steht die Branche vor einer massiven Ruhestandswelle – vor allem bei Ärztinnen und Ärzten. Der Ärztemangel sei in vielen Regionen Deutschlands bereits jetzt Realität, sagte Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, der Deutschen Presse-Agentur vor dem Deutschen Ärztetag in Mainz. Fast jeder vierte berufstätige Arzt beziehungsweise jede Ärztin sei heute 60 Jahre oder älter, so Reinhardt.

Die Fachkräftelücke ist in einzelnen Berufen und Regionen unterschiedlich ausgeprägt, wie die interaktive Karte des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA)  zeigt.

Trend: „Baufluencer“

Immer mehr Handwerkerinnen und Handwerker versuchen im Internet, neue Kolleginnen und Kollegen für ihren Betrieb und die Branche zu begeistern. Sogenannte „Baufluencer“  – ein Kofferwort aus Bau und Influencer – präsentieren sich teils sachlich, teils humorvoll oder beides auf Social-Media-Kanälen wie Instagram, Tiktok oder YouTube und berichten von ihrem Arbeitsalltag, sprechen Klischees und Vorurteile an oder geben fachliche Tipps. Dadurch wollen sie nicht nur das Image der Baubranche aufpeppen, sondern auch neuen Nachwuchs gewinnen sowie Kolleginnen und Kollegen ein Netzwerk schaffen.

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befragter Unternehmen können offene Stellen zumindest teilweise nicht besetzen, weil es keine Arbeitskräfte findet. (DIHK-Fachkräftereport 2023/24, basierend auf 22.000 Unternehmensantworten).

Definition Fachkräftemangel

Auch wenn es keine universell gültige Definition des Begriffs Fachkräftemangel gibt, beschreibt dieser eine Situation auf dem Arbeitsmarkt, bei der die Anzahl der qualifizierten Bewerberinnen und Bewerber in einem Berufsfeld oder einem konkreten Job geringer ist als der Bedarf der Unternehmen. Das Stichwort ist hierbei Langfristigkeit. Denn um von einem Fachkräftemangel zu sprechen, muss der Engpass an Beschäftigten über einen längeren Zeitraum in vergleichbarer Art und Weise anhalten. Die genaue Zeitspanne ist allerdings nicht definiert, sondern Auslegungssache.

Gründe für Fachkräftemängel und -engpässe

Verantwortlich für den Fachkräftemangel in Deutschland sind im Wesentlichen fünf Entwicklungen:

Demografie

Ein Hauptfaktor für den Fachkräftemangel ist der demografische Wandel und die damit verbundene zunehmende Alterung der Gesellschaft. Geburtenraten waren in den vergangenen Jahrzehnten rückläufig, deswegen fehlt vielerorts der Nachwuchs. Gleichzeitig ist die Arbeitslosenquote gering, die Zahl der Erwerbstätigen steigt seit Jahren kontinuierlich . Dennoch gibt es mehr offene Stellen als Bewerberinnen und Bewerber. Zugleich muss in unserer immer älter werdenden Gesellschaft ein immer größerer Pflegebedarf langfristig gedeckt werden. Ausgerechnet in diesen Bereichen fehlen besonders viele Arbeitskräfte. Bis zum Jahr 2035 könnten dem Arbeitsmarkt bis zu sieben Millionen Menschen weniger zur Verfügung stehen, hat das IAB-Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit ausgerechnet.

„Wir brauchen Einwanderung sowohl von Arbeits- als auch von Fachkräften. Selbst wenn wir alle inländischen Potenziale heben, wird das auch aus demografischen Gründen nicht ohne weitere Zuwanderung gehen“, sagte die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, zur dpa. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz  soll hier Abhilfe schaffen.

Digitalisierung

Auch die zunehmende Digitalisierung in fast allen Wirtschaftsbereichen trägt zum Fachkräftemangel bei: Arbeitsinhalte verändern sich, es ist viel mehr komplexes Fachwissen notwendig. Unternehmen bräuchten Expertinnen und Experten mit neuen Qualifikationen für neue Berufsbilder, während einige althergebrachte Berufe nach und nach an Bedeutung verlieren, wie die Ergebnisse der Studie „Arbeitslandschaft 2040“  zeigen.

Ebenso wie die Digitalisierung der Arbeitswelt den Fachkräftemangel verstärkt, kann auch eine zu zögerliche Digitalisierung zum Hemmschuh werden: Das macht ein Unternehmen oder eine Branche weniger attraktiv für Bewerberinnen und Bewerber als solche mit höherem Digitalisierungsgrad.

Beispielhaft zu nennen ist hier das Baugewerbe sowie die Ver- und Entsorgung, die analog zum Vorjahr in 2023 den größten Aufholbedarf im Bereich Digitalisierung hatten . Vor allem bei der Digitalisierung ihrer operativen Prozesse und der Anwendung digitaler Lösungen – etwa dem Einsatz von Echtzeit-Reporting oder IoT (Internet of Things) auf der Baustelle – gibt es Nachholbedarf, wie eine PwC-Studie zur Baubranche 2023  zeigt.

Globalisierung

Deutsche Fachkräfte, die gut ausgebildet oder studiert sind, können sich in gefragten Branchen ihre Jobs in der Regel aussuchen und stehen auch einer Beschäftigung im Ausland immer öfter offen gegenüber. Vor allem in der IT-Branche ziehen deutsche Unternehmen des Mittelstands im Gegensatz zu ihren internationalen Wettbewerbern oft den Kürzeren. Im Jahr 2030 werden hierzulande vermutlich über eine Million IT-Fachkräfte dringend benötigt, so das Ergebnis des „Future of Job“-Reports der Boston Consulting Group (BCG).

Dekarbonisierung

Die sogenannten Klimajobs, die im Zuge der notwendigen Reduzierung von CO₂-Emissionen entstehen, bringen neue Berufsfelder und Arbeitsplätze hervor, für die auch neue Qualifikationen bei den Arbeitskräften notwendig sind.

Abnehmende Attraktivität der Ausbildungen

Viele Unternehmen suchen dringend Nachwuchs in Ausbildungsberufen. Denn eine angespannte Ausbildungssituation kann ein ernstzunehmendes Geschäftsrisiko bedeuten.

Es standen seit 1989 noch nie weniger junge Menschen in einem Ausbildungsverhältnis als zum Jahresende 2022, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilte. Auch 2023 hat sich die Gesamtzahl der Auszubildenden gegenüber 2022 kaum verändert  (+2,1 Prozent).

Immer mehr Schulabsolventinnen und -absolventen entscheiden sich für eine akademische Laufbahn. Das einstige deutsche Erfolgsmodell der dualen Ausbildung interessiert weniger junge Menschen denn je, wie Destatis mitteilte. Vor allem die Ausbildungsberufe in Handwerk und Pflege hätten ein Image- und Attraktivitätsproblem.

Dabei werden gerade in einigen dieser Bereiche – z. B. Bau- und Ausbauberufen, im Maschinenbau, in der Elektrotechnik sowie in der ökologischen Landwirtschaft – Fachkräfte händeringend gesucht, etwa um die Maßnahmen für Klimaschutz und Energieeffizienz an Gebäuden oder den Ausbau der erneuerbaren Energien umzusetzen.

Bereits im Jahr 2025 werden allein zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben in diesen Bereichen rund 400.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt, heißt es in einer aktuellen Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). 

Unternehmen sollten sich die Mühe machen, Jugendliche dort anzusprechen, wo sie sind, zum Beispiel über die sozialen Medien. Einen Leitfaden dazu finden Sie zum Beispiel auf folgenden Seiten. 

Wie Unternehmen dem Fachkräftemangel entgegentreten können

Um Fachkräftepotenziale zu heben, gibt es diverse Ansätze. Für verschiedene Personen kann der Fachkräftemangel zudem auch positive Auswirkungen haben und neue Chancen für Unternehmen bieten: Durch die teils angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt kommen vermehrt Bewerberinnen und Bewerber zum Zuge, die es bislang eher schwerer hatten. Das führt zwangsläufig zu mehr Diversität in der Belegschaft. Vielfältige Teams haben nachweislich wiederum positive Auswirkungen auf Unternehmen und auf die Gesellschaft. Betriebe könnten die Zeit bis zur Neubesetzung deutlich verkürzen, wenn sie sich als Arbeitgeber positionieren, der auf Vielfalt in der Belegschaft achte. 65,4 Prozent befragter Unternehmen setzen vor allem darauf, ihre Stellenanzeigen entsprechend zu formulieren, um vielfältigere Kandidatinnen und Kandidaten anzusprechen, so eine  Umfrage des Ifo-Instituts .

Fachkräftepotenziale, die stärker genutzt werden können:

  • Ältere Menschen

    Das Fachkräftepotenzial von Personen zwischen 55 und 64 Jahren soll bis zum Jahr 2025 zwischen 600.000 und 1,1 Millionen liegen, wie eine Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung  Mannheim zeigt. Umfassendes Fachwissen und langjährige Berufserfahrungen von Älteren bergen großes Potenzial.

  • Menschen mit Migrationshintergrund

    Für die Stärkung der Fachkräfteeinwanderung hat die Bundesregierung umfangreiche Maßnahmen – unter anderem das Fachkräfteeinwanderungsgesetz  – ergriffen, um diese substanziell zu fördern. Das mehrsprachige Informationsportal „Make it in Germany"  bietet Arbeitsgebern und Fachkräften aus dem Ausland Infos zu verschiedenen Themen rund um die Einwanderung. Zudem gibt es dort eine integrierte und von der Bundesagentur für Arbeit gespeiste Jobbörse.

  • Menschen ohne Ausbildung

    Würden Unternehmen in von Engpässen betroffenen Berufsbereichen mehr arbeitslose Personen als Helfer oder Helferin ohne berufsqualifizierenden Abschluss einstellen beziehungsweise selbst anlernen, könnte die Fachkräftelücke rein rechnerisch um etwa 83.000 Beschäftigte reduziert werden, so die Ergebnisse der KOFA-Studie 2023 . Das entspräche 23 Prozent aller offenen Stellen, für die in der Regel eine Berufsausbildung nötig ist, für die derzeit aber keine passend ausgebildeten arbeitslosen Menschen zur Verfügung stehen.

  • Menschen mit Behinderung

    Viele Unternehmen wissen nicht, wie Inklusion gelingen kann. Laut Bundesagentur für Arbeit würden rund 173.800 Menschen mit Schwerbehinderung gern arbeiten. Viele von ihnen sind überdurchschnittlich gut qualifiziert, körperliche Beeinträchtigungen bedeuten kaum Einschränkung für ihre Arbeitsleistung. Dennoch finden sie schwerer Arbeit, da viele Betriebe trotz Fachkräftemangels lieber auf potenziell fähige Beschäftigte verzichten, statt Menschen mit Behinderung einzustellen. Betriebe, die keine oder zu wenig Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen, müssen eine Ausgleichsabgabe an die Integrationsämter zahlen. Anfang 2024 wurde diese für Unternehmen erhöht, die gar keine der Pflichtarbeitsplätze besetzen, teilte die Deutsche Presseagentur mit.

  • Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger

    Menschen, die einen Quereinstieg in eine andere Branche wagen wollen, leiden teilweise unter dem Vorurteil, sie seien nicht qualifiziert oder kompetent genug und fallen bei Personalentscheidungen oft durchs Raster. Dabei bringen viele von ihnen genau das mit, was in der modernen, agilen Arbeitswelt wichtig ist und wovon Betriebe profitieren können: neue Perspektiven, Flexibilität, Lernbereitschaft und Mut für Veränderungen. Wie Unternehmen erfolgreich Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger rekrutieren, erklärt beispielsweise das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA). 

  • Eigene Beschäftigte weiterbilden

    Unternehmen, denen es nicht gelingt, extern qualifizierte Fachkräfte zu rekrutieren, können in die Weiterbildung ihrer eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter investieren. Die Bundesagentur für Arbeit berät dazu und hilft ihnen bei der Beantragung von Förderleistungen wie die Erstattung der Lehrgangskosten oder Zuschüsse zum Arbeitsentgelt.

  • Frauen

    „Die Erwerbstätigkeit von Frauen ist das größte wirtschaftliche Potenzial für Deutschland“, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung . Mehr Frauen in den Arbeitsmarkt zu integrieren und dadurch deren Leistungs- und Qualifikationspotenzial besser zu nutzen, kann einen positiven Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten. In den letzten Jahren wurde bereits eine starke Ausweitung ihrer Erwerbstätigkeit erreicht, wie das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mitteilt.  Allerdings arbeiten viele Frauen in Teilzeit, vor allem Mütter. Wichtig in diesem Zusammenhang ist es, bessere Rahmenbedingungen – unter anderem das Kinderbetreuungsangebot – zu schaffen, um diese Zielgruppe zeitnah für eine Erwerbstätigkeit oder einen Ausbau der Arbeitszeit zu gewinnen.

Aus- und Weiterbildungsgesetz

Der Bedarf an beruflicher Umorientierung beziehungsweise Job- und Branchenwechsel wird künftig weiter steigen. Auch das Aus- und Weiterbildungsgesetz  soll durch diverse Maßnahmen dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu verringern. Unter anderem soll durch die neu eingeführte Ausbildungsgarantie allen jungen Menschen ohne Berufsabschluss der Zugang zu einer vollqualifizierenden, möglichst betrieblichen Berufsausbildung eröffnet werden. Das sogenannte Qualifizierungsgeld unterstützt Unternehmen wie Beschäftigte, die sich durch eine Weiterbildung eine Beschäftigung im selben Betrieb sichern.

Deutschland muss sich mehr öffnen. Wenn ich wirklich gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben will, die sich voll einbringen, dann muss ich ihnen und ihren Familien die entsprechende Umgebung schaffen, damit sie ihre Leistung auch zum Einsatz bringen
Uwe Burkert, Vorsitzender des Vorstands der Kreissparkasse Waiblingen
Im Gespräch mit

Uwe Burkert

Vorsitzender des Vorstands der Kreissparkasse Waiblingen

Herr Burkert, trotz Ukraine-Krieg und der angespannten wirtschaftlichen Situation setzt sich die Erholung am Arbeitsmarkt fort. Immer mehr Menschen haben einen Job. Die Arbeitslosenquote lag im April 2024 bei nur 6 Prozent. Diese Zahl ist erst einmal positiv. Gleichzeitig klagen viele Unternehmen über den Fachkräftemangel. Wie schätzen Sie die derzeitige Situation ein?

In den kommenden Jahren werden wir demografische Veränderungen beantworten müssen. Die Situation ist positiv dahingehend, dass wir mit den neuen Technologien den weniger werdenden Arbeitskräften perspektivisch begegnen können.

Aktuell ist es aber leider so, dass wir in den Branchen, die wir brauchen, um uns entsprechend aufzustellen – also im Bereich Software-Entwicklung und IT-Anwendung – zu wenig Personal haben. Es fehlen also genau die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die den Schritt von der Industrie 3.0 zur Industrie 4.0 bewerkstelligen sollen. Wir laufen Gefahr, dass wir auf der einen Seite ein Überschuss an Arbeitskräften haben, weil bestimmte Tätigkeiten wegfallen. Dem gegenüber steht ein großes Defizit an Fachkräften.

Die Bundesagentur für Arbeit spricht davon, dass es in einigen Berufen Engpässe gibt. Alles andere wird von der Politik so nicht benannt. Ist der Fachkräftemangel ein Mythos?

Bei beruflichen Einsteigerinnen und Einsteigern fehlt es an den richtigen Kompetenzen. Die Bewerberzahlen sind rückläufig. Die Qualifikation leidet. Das Resultat: Es werden nicht alle Ausbildungsplätze adäquat besetzt. Das höre ich auch aus Handwerk und Mittelstand. Dort aber natürlich auch deswegen, weil die Konkurrenz durch die Großunternehmen nach wie vor recht hoch ist.

Wir haben inzwischen auch eine deutliche Bewegung aus der Fläche hin zu den Städten, vor allem im Bereich der neuen Technologien. Gefragte Städte wie Berlin oder Hamburg sind für kreative Köpfe interessanter als die Schwäbische Alb oder der Hunsrück.

Bremst der Mangel an Fachkräften die Digitalisierung aus?

In der Breite ja. In der Spitze noch nicht. Unternehmen wie SAP oder Bosch können nach wie vor entsprechende Kräfte rekrutieren, auch weil sie weltweit aktiv sind. Aber bei kleineren Mittelständlern ist das Problem Fachkräftemangel existent. Es kommen zwei Dinge zusammen: Die mangelnde Attraktivität und das allgemeine Standortproblem, man denke an Breitband und 5G-Netze.

Liegt es an der mangelnden Attraktivität der Unternehmen oder legen die Mittelständler zu wenig Geld auf den Tisch?

Noch an beidem. Aktuell sind Unternehmen noch nicht bereit, deutlich mehr Geld für neues Personal auszugeben. Zum zweiten: Es ist oft schwer für einen Bewerber oder eine Bewerberin festzustellen, wie aktiv und fortschrittlich ein Unternehmen tatsächlich ist. Der Mittelstand muss mehr kommunizieren, etwa so: Wenn ihr bei uns anfangt, seid ihr absolut gefordert und ganz weit vorn an der Spitze der Digitalisierung.

Was ist denn interessant für Bewerberinnen und Bewerber?

Das sind oft eigentümergeführte Unternehmen, die mit flachen Hierarchien arbeiten. Es ist immer interessant, relativ früh Verantwortung zu bekommen und Prozesse von Anfang bis Ende zu sehen. 

Mittelständische Unternehmen sind beim Recruiting nicht untätig. Welche Maßnahmen ergreifen sie, um auf den Mangel an qualifizierten Fachkräften zu reagieren?

Es gibt viele Kooperationen mit Schulen. Zum Beispiel versuchen Unternehmen, die Jugendlichen über Schnupperpraktika davon zu überzeugen, dass es gut ist, mit einer Bewerbung in einem mittelständischen Unternehmen für eine Ausbildung die berufliche Basis zu legen. Auch gibt es ein unheimlich vielfältiges Studienangebot. Vor allem duale Studiengänge sind ein sehr großer Erfolgsfaktor. Bei den kleineren Handwerksbetrieben oder auch im landwirtschaftlichen Bereich ist das Image nach wie vor schwierig. Dabei ist es extrem spannend, was Digitalisierung und Industrie 4.0 auch dort für Umwälzungen mit sich bringen. Heute bewirtschaftet ein Hightech-Bauer seine Felder GPS-gesteuert. Das ist aber in der Breite der Bevölkerung noch nicht angekommen – und bei Bewerbern erst recht nicht.

Ein sportlich gekleideter  junger Mann lehnt an einer Wand und lächelt in die Kamera. Im Hintergund stehen weitere Schüler in einem Flur.

Womit können Mittelständlerinnen und Mittelständler erfolgreich punkten?

Persönliche Betreuung, Erfolg, keine Anonymität, sondern Prozesstransparenz von Anfang bis Ende. Absolute Kundenbezogenheit. Der Wille, in dem Feld, in dem man arbeitet, möglichst der Beste zu sein. Dieser Spirit: Wir schaffen das, wir tüfteln das aus. Das ist ein ganz starkes mittelstandswirtschaftliches Thema.

Attraktiv ist außerdem, auch dauerhaft an dem Betrieb interessiert zu sein und – was Familienbetriebe häufig sind – von Generation zu Generation langfristig mit den Kunden beziehungsweise Kundinnen verbunden zu sein. Auch der Standort in der Region kann von Vorteil sein, um wohnortnah zu arbeiten und eine gute Work-Life-Balance zu haben.

Deutschland ist ein Land der Akademiker und Akademikerinnen. Inzwischen studieren mehr junge Menschen denn je. Viele davon waren im Ausland. Würden Sie sagen, die Menschen in Deutschland sind überqualifiziert?

Nein. Wir müssen vielmehr aufpassen, dass wir nicht weiter Leute ausbilden, die in den zukünftigen Prozessen, die ja stark automatisiert laufen, nicht mehr gebraucht werden.

Der Mittelstand ist sehr stark in der forschungs- und anwenderorientierten Technologie. Sicher entwickelt er auch eigene Patente, aber er ist extrem stark in der Adaption. Was wir also brauchen, ist: technologisch ausgebildetes Personal und eine positive Einstellung dazu.

Auch was Behörden und Verwaltungen angeht, haben wir nicht an der Spitze zu viel, sondern eher im mittleren Bereich, also im Verwaltungsbauch. Dort, wo Vorgänge nicht mehr manuell passieren werden, sondern von Anfang bis Ende komplett elektronisch.

Wir können nicht generell von einer Überqualifizierung sprechen. Sondern davon, dass Leute entsprechend ihrer Qualifikation auch eingesetzt werden. Da sehe ich für Deutschland großes Potenzial. Wenn eine Ingenieurin oder Betriebswirtin als Sekretärin arbeitet, aus welchen Gründen auch immer, dann passt der Match nicht. Und gerade die aktuelle Situation in der Bauwirtschaft zeigt: wir brauchen dringend Handwerker und Handwerkerinnen. Ohne diese sind die CO2-Ziele bei den Gebäuden nicht zu schaffen.

Haben Sie bei der Mitarbeitergewinnung einen internationalen Vergleich?

Die skandinavischen Länder sind da unschlagbar im Vorteil: Sie sind weltweit führend bei der Flexibilität und den tatsächlichen Möglichkeiten, Know-how entsprechend einbringen zu können. Diese Flexibilität wird ein ganz wesentlicher Faktor sein, stille Reserven in der Qualifikation zu heben und auch den Wertschöpfungswert zu erhöhen.

Welche Rolle kann die Politik spielen?

Sie sollte den Rahmen für Mindeststandards im Schulsystem setzen. Wir müssen schon mit dem frühkindlichen Bereich anfangen. Dazu brauchen wir eine Betreuungssituation, in der die Kinder optimal gefördert werden. Es ist aus meiner Sicht ein Unding, dass wir damit so lässig umgehen.

Wenn wir in diesen Bereich nicht investieren, werden wir auf lange Sicht darunter leiden. Auch müssen wir klarer definieren, wie wir mit Schulinhalten umgehen wollen. Die absolute Verschulung wie beim Bachelor ist nicht die Methodenkompetenz, die wir für die Zukunft brauchen.

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll den Zugang für ausländische Facharbeiterinnen und Facharbeiter – insbesondere die Zuwanderungsvoraussetzungen für Menschen mit Berufsabschlüssen – erleichtern. In Deutschland fehlen allerdings vielerorts die nötigen Ressourcen und die passende Infrastruktur. Erwarten Sie, dass Unternehmen dadurch flexibler werden und sich die Situation verbessert?

Ich hoffe, dass deutsche Unternehmen neue Fertigkeiten dazugewinnen und deutlich flexibler sein werden. Aber auch hier gilt: Wenn Fachkräfte aus anderen Ländern zu uns kommen, dann müssen wir den Rahmen dafür schaffen, dass auch deren Kinder gut betreut und sie integriert werden können. Das ist noch ein großer Schritt. Bei uns im mittleren Neckarraum zum Beispiel gibt es wenig internationale Schulen.

Muss sich Deutschland mehr öffnen?

Ja. Nehmen Sie erfolgreiche Fußballvereine: Wie schaffen sie es, dass ihre Spieler sich wohlfühlen? Indem sie wunderbare Rahmenbedingungen schaffen. Wenn ich wirklich gute Mitarbeiter haben will, die sich voll einbringen, dann muss ich ihnen und ihren Familien die entsprechende Umgebung schaffen, damit sie ihre Leistung auch zum Einsatz bringen.

Was ist mit der Ausbildung von jungen Frauen in den technischen Berufen? Was sehen Sie für Handlungsbedarf?

Wir müssen von diesem alten Ingenieursdenken weg. Ich sehe ein unheimliches Interesse von Mädchen und weiblichen Jugendlichen in diesen Fächern. Die Auszeichnungen, die junge Frauen in den naturwissenschaftlichen Fächern erhalten, sind sensationell. Wir müssen es schaffen, diese Neugier und diese guten Chancen weiter am Leben zu erhalten. Wichtig ist, den Einstieg für den weiblichen Nachwuchs zu erleichtern und Hemmschwellen abzubauen. Das wirkt.

Was wünschen Sie sich von Unternehmen?

Dass wir uns von dem Gedanken verabschieden, mit einem einzigen Studium durchs Berufsleben zu kommen. Ich muss zwischen 40 und 70 nochmal ein Studium draufsatteln, um mich auf die Neuerungen einzulassen. Dieses Midlife-Studium würde ich mir von Unternehmen wünschen – also das Angebot für ein duales Studium oder eine duale Ausbildung.

Häufige Fragen zum Fachkräftemangel

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Was bedeutet Fachkräftemangel?

Fachkräfteengpass, Fachkräftelücke oder Fachkräftemangel bezeichnet ein (vorübergehendes) Missverhältnis von verfügbaren ausgebildeten Fachkräften zur Anzahl an offenen Arbeitsplätzen. In Deutschland ist dieser Zustand bereits seit einigen Jahren in verschiedenen Branchen sehr deutlich zu spüren.

Ein geschicktes Rekrutieren von neuem Personal ist das A und O. Nutzen Sie die verschiedensten Kanäle für ihre Anzeigen. Auch wenn Online-Stellenanzeigen heutzutage üblich sind, können Printanzeigen in der gängigen Tagespresse noch erfolgreich sein. Darüber hinaus bewährt sich künstliche Intelligenz immer mehr bereits im Recruiting- und Einstellungsprozess: „Unternehmen müssen schnell sein, um sich begehrte Bewerber und Bewerberinnen zu sichern, dabei hilft die KI“, sagte Kai Helfritz von der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP)  dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Passende Kandidatinnen und Kandidaten können Sie beispielsweise auch mit Kampagnen auf Xing oder LinkedIn erreichen. Junge Menschen holen Sie am besten dort ab, wo sie sich viel aufhalten: auf Social Media. Erstellen Sie sich Accounts auf verschiedenen Plattformen und berichten Sie von Ihrem Unternehmen, machen Sie es durch regelmäßige Beiträge interessant für potenziellen Neuzugang.

Besonders in ländlichen Regionen ist Fachkräfteengpass in bestimmten Sparten und vor allem kleineren Unternehmen ein Kernthema. Auf kommunaler Ebene gibt es daher spannende Ansätze, dem entgegenzuwirken. Ein Beispiel ist das „Jobentdecker“-Programm im Landkreis Haßberge: Schülerinnen und Schüler widmen dem Programm insgesamt vier Wochen ihrer Sommerferien. Pro Woche besuchen sie jeweils ein Minipraktikum von jeweils drei Tagen in einem Unternehmen, sodass sie am Ende der Zeit Einblicke in vier möglichst unterschiedliche Unternehmen der Region gewonnen haben. An den übrigen Tagen der Woche berichten die Jobentdecker auf Instagram und in einem Blogbeitrag für die Homepage von Jobentdecker über ihre Erlebnisse. Im besten Falle motiviert das mehr zukünftige junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, in der Heimat zu bleiben und in einem der regionalen Betriebe einzusteigen.

Die Mobilität ist bei Fachkräften mit einer Berufsausbildung im Vergleich zu Akademikerinnen und Akademiker deutlich schwächer ausgeprägt. Für diese Menschen gilt es, zusätzliche Anreize zu schaffen. Diese können zum Beispiel finanzieller Natur sein. Auch ein optimiertes Gesundheitsangebot, Sport-, Sprach- oder IT-Kurse sind möglich. Je nach Stellenangebot kann es sich daher lohnen, Anzeigen auch überregional zu schalten.

Wichtig ist es auch, sich für weitere Arbeitskräfte zu öffnen, beispielsweise durch familienfreundlichere Strukturen, Kinderbetreuungsmöglichkeiten im Betrieb, flexible Arbeitszeiten und -orte und mehr Diversität in der Belegschaft.

Die Ursachen des Fachkräftemangels in Deutschland sind vielfältig, zu nennen sind beispielsweise:

  • der demografische Wandel und die damit verbundene zunehmende Überalterung der Gesellschaft,
  • die fortschreitende Digitalisierung in fast allen Wirtschaftsbereichen,
  • eine abnehmende Attraktivität bestimmter Ausbildungen, unbefriedigende Arbeitsverhältnisse und geringe Löhne in bestimmten Branchen.

In Deutschland könnten bis zum Jahr 2035 rund sieben Millionen Fachkräfte fehlen. Hunderttausende Menschen mehr werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, als Arbeitskräfte nachrücken.

Auch wenn es in Deutschland derzeit keinen flächendeckenden Fachkräftemangel gibt, ist es schon heute in bestimmten Regionen und Branchen schwer bis unmöglich, offene Stellen mit geeigneten Fachkräften zu besetzten. Dies betrifft vor allem den MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), den IT-Bereich, das Gesundheitswesen sowie die Bau- und Handwerksbranchen. Besonders in Süddeutschland und in den neuen Bundesländern ist die Lage angespannt.

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