Die Inflationsraten sind schon vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine gestiegen.
Die Zentralbanken sind nicht machtlos gegen die Inflation.
Der Staat hat wenig Interesse an einer hohen Inflation.
Lange Zeit sind die Preise für viele Produkte kaum gestiegen. Selbst die von vielen Menschen gefühlte, aber nicht belegte Inflation bei der Euro-Einführung („Teuro“) liegt 20 Jahre zurück. Kein Wunder, dass es auch jetzt gefühlte Wahrheiten gibt. Wir gehen ihnen auf den Grund.
Mythos 1: Die erneuerbaren Energien treiben die Inflation.
Deutschland setzt immer stärker auf erneuerbare Energien. Gleichzeitig werden Strom und Wärme immer teurer. Sind die erneuerbaren Energien schuld an der Inflation?
Im Vergleich zu anderen Energiequellen sind erneuerbare Energien bereits jetzt günstiger als konventionelle Kraftwerke. In der Aufstellung des Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme vom Jahr 2021, also im Wesentlichen vor der Energiekrise, kostet Gas je Kilowattstunde (kWh) am meisten. Die berechnete Spannbreite liegt für ein zu dem Zeitpunkt
- neugebautes Gasturbinenkraftwerk von 11,46 bis 28,96 Cent/kWh,
- für Steinkohle von 11,03 bis 20,04 Cent/kWh,
- für Braunkohle von 10,38 bis 15,34 Cent/kWh.
- An Land gewonnene (onshore) Windkraft kostet von 3,94 bis 8,29 Cent/kWh,
- Photovoltaik-Anlagen je nach Typ und Einstrahlung zwischen 3,12 und 11,01 Cent/kWh.
Interessant dabei: Das Fraunhofer-Institut erwartet über die nächsten Jahrzehnte eher fallende Kosten – bei Solarenergie stärker als bei Windenergie.
Allerdings sind die Kosten für konventionelle Energie auch ein Stück weit erhöht aufgrund der CO2-Steuer sowie gestiegener CO2-Zertifikatspreise. Die Menge an Zertifikaten ist politisch festgesetzt und hat das Ziel, fossile Energien zu verteuern. Wesentlicher Preistreiber ist in der aktuellen Inflationsphase aber die Verknappung von Gas, Kohle und Öl durch Russlands Krieg gegen die Ukraine. Russland hat die Liefermengen erheblich reduziert, teilweise auf Null. Zudem hat die EU Sanktionen erlassen.
Mythos 2: Die EZB ist gegen die Inflation machtlos.
Über die genauen Auslöser der Inflation sind sich die Ökonominnen und Ökonomen nicht ganz einig, aber wann ist das in der Wissenschaft schon mal der Fall? Fakt ist, schon vor dem Ukrainekrieg stieg die Inflationsrate deutlich an. Im Juli 2021 lag sie in Deutschland bereits bei 3,8 Prozent, was aber vor allem der ausgelaufenen Mehrwertsteuersenkung nach der Corona-Krise zugeschrieben wurde. Doch auch in den USA schnellte sie bereits im April 2021 erstmals über 4 Prozent.
So kam der Energiepreisschock durch den Ukraine-Krieg nur zusätzlich zu anderen Ursachen hinzu. Verwerfungen in den Lieferketten und zu üppig gestaltete Konjunkturpakete nach den Corona-Lockdowns sorgten für steigende Preise.
Die Notenbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB) versuchen, die Inflation neben anderen Maßnahmen mit höheren Zinssätzen zu bekämpfen. Warum fällt die Inflation, wenn die Leitzinsen angehoben werden? Die Leitzinsen, die die Zentralbanken festlegen, bestimmen auch stark die Höhe von Zinsen allgemein. Steigen die Leitzinsen, werden Kredite teurer und Einlagen besser verzinst. Dadurch lohnt sich die eine oder andere kreditfinanzierte Investition nicht, zugleich wird Sparen attraktiver. Beides senkt die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen. Weniger Nachfrage bei gleichem Angebot sind schlechte Voraussetzungen, um die Preise zu erhöhen.
Dieser Zusammenhang lässt sich auch statistisch belegen. Wurden in Zeiten steigender Preise die Leitzinsen erhöht, sank die Inflation einige Zeit später.
Mythos 3: Wenn niemand die Preise erhöht, gibt es auch keine Inflation.
Dieser Mythos stimmt. Allerdings müsste der Satz weitergehen. Wenn niemand die Preise erhöht, gibt es keine Inflation, aber der Mangel würde eher größer statt kleiner.
Wer weiß, dass er ein knappes Gut wie Öl, Gas oder Toilettenpapier hat, wird es nicht unter Wert verkaufen. Je höher der Bedarf, desto höher der Preis. Das ist auch nicht schlecht, weil der höhere Preis in der Regel einen Anreiz schafft, mehr von dem Produkt zu produzieren oder zu fördern – oder eben weniger davon gekauft wird.
Zwar gibt es grundsätzlich die Gefahr, dass sich die Preiserhöhungen verselbständigen. Wenn eine Fahrradhändlerin erwartet, dass sie ihre Fahrräder im kommenden Monat teurer verkaufen kann, wird sie sie heute nicht günstiger abgeben. Im Extremfall wäre das Ergebnis eine Hyperinflation. Die Gefahr ist jedoch gering, solange es einen intakten Markt gibt mit genügend Konkurrenz und ohne illegale Preisabsprachen. Zudem wäre es notwendig, dass die Notenbanken fortwährend zu viel Geld drucken.
Dass die Preise nicht endlos steigen, zeigt sich beim Erdöl, Erdgas und auch beim Holzpreis. Von den Höchstpreisen sind viele Rohstoffe schon wieder weit entfernt. Erdöl hat im März und Juni 2022 mehr als 120 US-Dollar pro Barrel gekostet. Im Oktober war es mit 90 US-Dollar pro Barrel bereits 25 Prozent günstiger. Beim Gas beispielsweise ist der gesunkene Preis auch eine Folge der großen Einsparbemühungen.
Mythos 4: Die Inflation verschwindet von allein.
Heißt das also, der Markt regelt alles allein? So einfach ist es nicht. Denn der Markt ist nie frei. Und das aus gutem Grund: Dass Staat und Zentralbanken wichtige Akteure sind, ist demokratisch so gewollt und gewissermaßen eine Lehre aus vorherigen Fehlern. Während etwa in der deutschen Wirtschaftspolitik in den letzten Jahrzehnten versucht wird, Krisen durch zusätzliche Ausgaben abzufedern, hat die EZB die Aufgabe, die Preise stabil zu halten.
Dabei kann es mitunter auch zu Fehleinschätzungen kommen. So war vermutlich das US-amerikanische Konjunkturpaket unter Präsident Joe Biden zu überdimensioniert und hat zu steigenden Preisen geführt.
Mythos 5: Höhere Gehälter führen zu einer höheren Inflation.
Häufig wird vor einer Lohn-Preis-Spirale gewarnt. Dieses ominöse Objekt soll verheißen, dass sich die Inflation weiter und weiter dreht, wenn die Angestellten höhere Gehälter fordern und auch bekommen.
Dieser Mythos ist zum Teil wahr. Ja, wenn mehr Menschen mehr Geld haben, werden sie auch mehr kaufen können und die Preissteigerungen kompensieren können. Viele Unternehmen werden wegen der nun höheren Personalkosten abermals die Preise erhöhen. Weshalb wiederum mehr Leute höhere Gehälter brauchen. Und so weiter und so fort.
Doch die Lohnsteigerungen sind eher ein Symptom als die Ursache der Inflation. Fällt die eigentliche Ursache weg, sollte auch die Spirale in sich zusammenfallen. Denn auch hier sind Angebot und Nachfrage nicht zu verachten. Nicht jedes Unternehmen wird höhere Personalkosten 1:1 in höhere Preise umsetzen, weil beispielsweise die Konkurrenz mehr Kundinnen und Kunden anlockt, wenn sie länger mit den Preisanhebungen wartet. So wird ab einem gewissen Punkt die Arbeitslosigkeit steigen, was die Möglichkeit für weitere Gehaltserhöhungen einschränkt.
Mythos 6: Die Inflation ist politisch gewollt.
Die Logik ist simpel: Steigende Preise sind gut für den, der viele Schulden hat. Wer hat viele Schulden? Der Staat. Deswegen sei der Staat an einer hohen Inflation interessiert. Heißt es zumindest auf einigen weniger integren Webseiten.
Doch das ist falsch. Das Problem: Die Inflation schafft für den Staat mehr Probleme, als sie löst. Zwar ist es richtig, dass mit den Preisen auch die Steuereinnahmen steigen. Werden 19 Prozent Mehrwertsteuer auf ein Produkt aufgeschlagen, das nun 12 Euro statt 10 Euro kostet, fließt mehr Geld in die Staatskasse. Die Schulden können dadurch schneller getilgt oder politische Projekte umgesetzt werden.
Jedoch verliert gleichzeitig das Vermögen der Bevölkerung an Kaufkraft. Die Inflation geht mit der hohen Gefahr einher, die Wirtschaftskraft schrumpfen zu lassen. Das wiederum würde weniger Steuereinnahmen bedeuten. Und dürfte zu Unzufriedenheit in der Bevölkerung führen. Hinzu kommt, dass die Zentralbanken die Zinsen erhöhen würden, um die Inflation zu bekämpfen – zumindest, wenn sie wie die Europäische Zentralbank politisch unabhängig sind. Höhere Zinsen sind für einen verschuldeten Staat aber schlecht. Sobald die Zinsen über Null steigen, muss ein Teil des Haushalts für den Schuldendienst aufgewendet werden. Sind die Zinsen hingegen Null oder sogar negativ, ist der Schuldenstand praktisch egal.
Die Staatsverschuldung des Bundes lag im Juli 2022 bei 1,57 Billionen (also 1.570 Milliarden) Euro. Im gesamten Jahr 2021 musste der Bund dafür 3,9 Milliarden Euro Zinsen zahlen. Im Jahr 2000 waren es noch 39,1 Milliarden Euro Zinsen, obwohl die Schulden nur etwa halb so hoch waren. Hohe Zinsen heißt weniger Geld für politische Projekte.
Mythos 7: Die Inflation ist gekommen, um zu bleiben.
Ende 2021 waren viele Ökonominnen und Ökonomen noch davon überzeugt, die Inflation sei nur ein kurzfristiges Phänomen. Mittlerweile sind die Beurteilungen häufig kritischer. Doch niemand weiß, wie lange die Inflation so hoch bleibt oder ob die Rate sogar noch weiter steigen wird.
Positiv ist, dass die Energiepreise ein Stück weit gefallen sind. Auf Jahressicht hat sich Erdöl (Stand Oktober 2022) nicht verteuert. Sollte Erdöl auch im März 2023 noch 90 US-Dollar kosten, wäre das bereits ein Rückgang zum Vorjahreswert von 30 Prozent. Gleichzeitig dämpft die Aussicht auf hohe Nebenkostenabrechnungen erheblich die Konsumneigung. All das könnte in einer Rezession münden, die die Inflation beseitigt. Damit dieser wirtschaftliche Abschwung nicht zu stark ausfällt, gibt es gleichzeitig Maßnahmen wie die Gaspreisbremse.
Dass jedoch alles so laufen wird wie erwartet, ist leider auch nur ein – Mythos.
Stand: 21.10.2022