Seit Anfang Juli verhängt die EU-Kommission Strafzölle auf Elektroautos aus China, um die europäische Automobilindustrie zu schützen.
Die deutsche Wirtschaft könnte von einer gestärkten heimischen Produktion profitieren, jedoch auch unter möglichen Vergeltungsmaßnahmen Chinas und negativen Auswirkungen auf Lieferketten leiden.
Während einige Stimmen in der EU die Zölle als Schutzmaßnahme begrüßen, befürchtet die deutsche Autoindustrie Einschränkungen im Angebot und negative Folgen für den Wettbewerb.
Für Käufer und Käuferinnen von Elektroautos in Deutschland könnte es teuer werden: Die neuen Zölle der EU-Kommission auf chinesische E-Autos führen aller Voraussicht nach zu Preissteigerungen. Sie sollen bis zu 37,6 Prozent betragen.
Die EU-Kommission kündigte bereits Mitte Juni die Zollaufschläge auf den bisher geltenden Satz von 10 Prozent an. Sie sind das Ergebnis einer Untersuchung der Kommission, wonach die gesamte Wertschöpfungskette für Elektroautos in China stark subventioniert wird. Demnach droht der Industrie in der EU durch die Einfuhren chinesischer E-Autos eine klar vorhersehbare und unmittelbar bevorstehende Schädigung. Kommissionsangaben zufolge sind chinesische Elektroautos normalerweise rund 20 Prozent günstiger als in der EU hergestellte Modelle.
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) warnt: „Für die Verbraucher dürfte dies im Ergebnis höhere Preise für Elektroautos bedeuten, weil die Produktion innerhalb der EU deutlich teurer ist als in China, aufgrund von höheren Energie- und Materialpreisen und vor allem deutlich höherer Lohnkosten.“
Doch nicht nur chinesische Marken wie BYD oder Geely sind betroffen. Auch deutsche Hersteller wie BMW, VW und Mercedes müssen mit höheren Kosten und sinkenden Verkaufszahlen rechnen. Sie produzieren in China und importieren ihre Fahrzeuge nach Deutschland. Das könnte ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem wichtigen Markt für Elektrofahrzeuge beeinträchtigen. Außerdem könnte es zu einer Verringerung der Modellvielfalt und einer Einschränkung der Wahlmöglichkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher führen.
Auch für die deutsche Wirtschaft insgesamt sind die Auswirkungen komplex und könnten sehr weitreichend ausfallen: Einerseits könnten die Zölle zu einer Stärkung der heimischen Produktion führen und die Branche könnte von der erwarteten Steigerung der Nachfrage nach in der EU produzierten E-Autos profitieren. Allerdings gibt das IfW Kiel zu bedenken: „Dass europäische Autohersteller die Lücke füllen, ist keinesfalls ausgemacht, auch könnten chinesische Hersteller wie BYD mit neuen Werken in Europa die Nachfrage vor Ort bedienen.“ Das IfW Kiel schätzt, dass die Verkäufe von in der EU produzierten Elektroautos um etwa 3,3 Milliarden US-Dollar steigen könnten. Das könnte Arbeitsplätze in der Automobilindustrie sichern und neue schaffen.
Andererseits besteht die Gefahr chinesischer Vergeltungsmaßnahmen. Die Regierung der Volksrepublik hat die geplanten Zölle bereits kritisiert und Gegenmaßnahmen angedeutet. Ein eskalierender Handelskonflikt könnte nicht nur die heimischen Autobauer treffen, sondern auch andere Branchen der deutschen Wirtschaft, die stark vom Handel mit China abhängig sind.
Zudem warnen Experten vor möglichen negativen Auswirkungen auf die Lieferketten. Die EU-Exporte nach China im Segment „Autos und Autoteile“ könnten laut IfW-Berechnungen um 0,6 Prozent oder 237 Millionen US-Dollar zurückgehen. Dies zeigt, wie eng die Verflechtungen zwischen den Automobilindustrien in der EU und China sind.
Die Reaktionen auf die geplanten Zölle sind gemischt: Während einige Stimmen, etwa in Frankreich, Italien und Spanien, sie als notwendigen Schutz der europäischen Industrie begrüßen, sehen andere darin schädlichen Protektionismus. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat sich bei seinem Besuch in China im Juni für eine Kompromisslösung stark gemacht.
Habeck betonte, dass die EU eigentlich keine Ausgleichszölle verhängen möchte. Aufgrund der Überkapazität chinesischer Elektroautos in Europa sehe sie sich aber zum Handeln gezwungen. Dass China nun Verhandlungsbereitschaft signalisierte, wertete Habeck als Fortschritt.
Die deutsche Autoindustrie hat im vergangenen Jahr ein Drittel ihrer Umsätze in der Volksrepublik gemacht und lehnt die Strafzölle ab. Sie seien weder für die EU noch für Deutschland zielführend. „Die Einführung zusätzlicher Importzölle führt in eine Sackgasse“, erklärte BMW-Chef Oliver Zipse. Sie schadeten den global agierenden Unternehmen, schränkten das Angebot an E-Autos ein und bremsten die Dekarbonisierung. Ein Sprecher von Volkswagen sagte: „Die negativen Auswirkungen dieser Entscheidung überwiegen den etwaigen Nutzen für die europäische und insbesondere die deutsche Automobilindustrie.“
Die Einführung der Zölle ist jedoch nicht in Stein gemeißelt: Die EU-Kommission hat bis November Zeit, eine endgültige Entscheidung zu treffen. Bis dahin werden die Zölle als Kaution erhoben. Das bedeutet, dass sie möglicherweise zurückgezahlt werden könnten, sollte es zu einer Einigung mit China kommen.
Für die Zukunft der Elektromobilität in Deutschland und Europa könnte diese Entscheidung wegweisend sein: Einerseits könnten die Zölle die europäische Industrie schützen und ihr Zeit geben, im Bereich der E-Mobilität aufzuholen. Andererseits besteht die Gefahr, dass sie den Wettbewerb einschränken und die Entwicklung bezahlbarer Elektroautos bremsen.
Für die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Wirtschaft und die Autobauer in Deutschland bleibt die Situation vorerst unsicher. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Strafzölle tatsächlich in vollem Umfang umgesetzt und welche konkreten Auswirkungen sie haben werden. Eines ist jedoch klar: Die Entscheidung der EU-Kommission hat das Potenzial, die Landschaft der Elektromobilität in Deutschland und Europa nachhaltig zu verändern.
Dr. Gertrud Traud ist promovierte Volkswirtin und hat über 25 Jahre Berufserfahrung als Kapitalmarktstrategin. Seit 17 Jahren ist sie Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen Girozentrale (Helaba), die zur Sparkassen-Finanzgruppe gehört. Dort leitet sie die Research-Abteilung und bringt neben zahlreichen weiteren Publikationen alljährlich den Konjunktur- und Kapitalmarktausblick „Märkte und Trends“ heraus. Dr. Gertrud Traud gehört dem Wirtschafts- und Zukunftsrat des Hessischen Wirtschaftsministeriums an.
Die EU-Strafzölle auf chinesische Elektroautos erhitzen die Gemüter in der Politik ebenso wie in der Automobilbranche. Während die einen darin einen notwendigen Schutz für die europäische Industrie sehen, warnen andere vor einem gefährlichen Schritt in Richtung Protektionismus. In diesem Spannungsfeld äußert sich Dr. Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Landesbank Hessen-Thüringen, zu den möglichen Folgen dieser Maßnahme.
An höhere Zölle der USA gegenüber China hat man sich seit der Amtszeit von Donald Trump weitgehend gewöhnt. Auch sein Nachfolger Joe Biden hat sich im Wahlkampf jüngst dieses protektionistischen Handelsinstruments bedient. Dass diese Vorgehensweise jetzt auch noch von Europa kopiert wird, sollte aber zu bedenken geben.
Dabei wird vornehmlich auf die vermeintlich unfairen Handelspraktiken von ausländischen Wettbewerbern verwiesen. Im aktuellen Fall wird China dieser Vorwurf gemacht. Das Ziel von Zöllen ist, die Kosten für importierte Waren zu erhöhen und damit den Import einzuschränken. Ob Hersteller und Konsumenten in Deutschland davon profitieren, wage ich zu bezweifeln.
Zölle sollen dem Schutz der inländischen Hersteller vor der ausländischen Konkurrenz dienen. Der Kostenanstieg für die Verbraucher wird dabei billigend in Kauf genommen. Der vermeintliche Schutz einheimischer Hersteller reduziert jedoch den Wettbewerb und damit den Innovationsdruck. Zudem würden die angedrohten chinesischen Gegenmaßnahmen vor allem die deutsche Automobilindustrie treffen.
Neben dem Effekt einer importierten Inflation besteht das Risiko von Vergeltungsmaßnahmen. Dies würde insbesondere Deutschland treffen, da kein anderes Land so viele Autos nach China exportiert wie wir. Eine Zollspirale führt dann zu Wohlfahrtsverlusten bei den Konsumenten beider Länder – also auch bei uns.
Der Blick in die jüngste Geschichte hilft: Die Einfuhren der USA aus China gingen nach dem Ausbruch des Handelskriegs Anfang 2018 spürbar zurück. Der Anteil Chinas an den US-Importen insgesamt fiel zuletzt auf den niedrigsten Stand seit 2005. Chinesische Produkte haben aber trotzdem ihren Weg in die USA gefunden, indem die chinesischen Hersteller nun vermehrt in Vietnam oder Mexiko produzieren. Auch in Europa zeichnet sich eine Umlenkung der Handelsströme ab. Länder wie Ungarn bieten sich gerne als Produktionsstandort für chinesische Unternehmen an. Ökonomisch gibt es nur Verlierer. Noch ist offen, ob es politische Gewinner geben wird.
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Stand: 11. Juli 2024