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F-16-Kampfjets der Luftwaffe Taiwans fliegen in enger Formation über dem Präsidialamt

Eine Eskalation in Taiwan könnte Deutschland hart treffen

Chinesische Blockade
Die Spannungen zwischen China und Taiwan haben sich deutlich verschärft. Die bisher größte Militäroperation zeigt, dass die Volksrepublik den Inselstaat vollständig abschotten kann. Unser Experte gibt eine Einschätzung für die weitere Entwicklung und beleuchtet mögliche Konsequenzen für Deutschland.

China hat Mitte Dezember mit seiner bisher größten Militärübung gezeigt, wie eine Blockade der Inselrepublik Taiwan aussehen könnte – und weltweit großes Unbehagen ausgelöst: Mit 100 Schiffen und nahezu 50 Flugzeugen hat die Volksrepublik sowohl die zivile Schifffahrt als auch den Flugverkehr zwei Tage lang zum Erliegen gebracht.

Das Manöver verdeutlicht die Möglichkeit einer kompletten Blockade oder Invasion der Insel und dass der seit Jahren schwelende Konflikt binnen kürzester Zeit eskalieren könnte. Davon wäre auch Deutschland in erheblichem Maße betroffen, zeigt das Handelsblatt  in einer aktuellen Analyse.

Die aktuelle Situation ist äußerst angespannt. Eine weitere Eskalation könnte schwerwiegende wirtschaftliche Folgen haben, die die des Ukrainekriegs deutlich übertreffen würden: Denn Taiwan ist der weltweit größte Lieferant von Halbleitern, und China stellt den zweitwichtigsten Handelspartner für Deutschland dar. Eine Eskalation hin zu einem Krieg könnte insofern die globalen Lieferketten erheblich stören. Daher beobachten Deutschland und andere Länder die Situation genau und warnen vor den wirtschaftlichen und sozialen Folgen eines weiteren Kriegs in Asien.

Doch welche dieser Erwartungen sind zunächst angstgeprägt – und welche sind real? Dr. Reinhold Rickes, Chefvolkswirt des Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) analysiert die aktuelle Entwicklung, wagt einen Ausblick und erklärt, was Unternehmen sowie Privathaushalte jetzt beachten können.

Wichtige Fragen an

Dr. Reinhold Rickes

Chefvolkswirt des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV)

Herr Dr. Rickes, gemeinsam mit den anderen Chefvolkswirtinnen und -volkswirten der Sparkassen-Finanzgruppe beobachten Sie die Lage zwischen China und Taiwan bereits seit geraumer Zeit. Wie realistisch ist Ihrer Einschätzung nach die weitere Verschärfung dieses Konflikts?

Seit der Eskalation halten wir die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Verschärfung, sodass Taiwan seine Produkte nur noch sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr exportieren kann, für möglich – aber nicht für dauerhaft realistisch. Die Möglichkeit einer direkten militärischen Aggression und somit einer weiteren Eskalation bewerten wir mit maximal 20 Prozent. Wir gehen eher davon aus, dass China auf eine Zermürbungsstrategie setzen wird, um Taiwan dazu zu bewegen, sich von der Volksrepublik ein- oder zumindest angliedern zu lassen. Dem steht aber nun die wiedererstarkte USA entgegen, die gerade die China-Politik neu und besonders mit Blick auf ihre Interessen gewichten wird und sich schon jetzt deutlich für Taiwan positioniert.

Chinas Staatschef Xi Jinping weiß, dass Taiwan als weltweit wichtigster Produzent in der Halbleitertechnologie eine international tragende Rolle spielt. Daher muss er davon ausgehen, dass eine Blockade oder gar ein Krieg für sein Land höchstwahrscheinlich Konsequenzen mit weiteren Zöllen und Sanktionen hätte. Auch ohne Krieg drohen China, neben den aktuellen Schwierigkeiten im eigenen Land, gerade mit Blick auf die USA, erhebliche Einbußen durch mögliche Zölle.

Wie müssen wir uns eine solche Zermürbungsstrategie vorstellen?

Diese Strategie würde sich in Form einer dauerhaften oder zumindest wiederholenden Luft- und Seeblockade äußern, sodass Taiwan seinen Export einschränken oder umlenken müsste. Ein solcher Schritt würde nicht nur die Wirtschaft des Landes im Mark treffen, sondern auch den internationalen Handel, insbesondere den Seehandel im asiatischen Raum, stark stören und zu weitreichenden Auswirkungen auf die globalen Lieferketten führen.

Aber nicht nur für Taiwan und China, auch für die westlichen Märkte, darunter Deutschland, wären die Auswirkungen auf die Preisgestaltung und die Verfügbarkeit von Produkten signifikant. Denn die westliche Wirtschaft ist insbesondere auch auf taiwanesische Halbleiter angewiesen.

Bloomberg Economics schätzt, dass der Schaden eines Kriegs um Taiwan 10 Prozent des weltweiten Wirtschaftsprodukts entspräche. Das wäre mehr als die Schäden, die die Folgen des Ukrainekriegs, der Coronapandemie oder der Weltfinanzkrise vor 16 Jahren verursacht haben. Teilen Sie diese Einschätzung und wie erheblich könnten die konkreten Auswirkungen für Deutschland sein?

In der Tat sind bei einem dauerhaften Konflikt, der gegebenenfalls sogar in einen Krieg im asiatischen Raum münden würde, deutliche Auswirkungen zu erwarten. Die Einschätzung von Bloomberg erscheint mir zwar als etwas übertrieben. Aber in jedem Fall wären die konkreten Folgen für Deutschland erheblich. Wir sind stark in den globalen Handel eingebunden und besonders abhängig von den technologischen Produkten, die Taiwan liefert. Zudem würden Sanktionen in Richtung China den europäischen und insbesondere den deutschen Handel sowie unsere Direktinvestitionen in das Reich der Mitte deutlich begrenzen. Werden beispielsweise die Halbleiter knapp, die in vielen deutschen Industrien verwendet werden, würde das unsere Produktion spürbar verlangsamen und die Preise steigen lassen.

Ein solche Situation könnte die Inflation bei uns um zusätzlich mindestens 2 Prozent nach oben treiben. Außerdem würde Deutschland mit den Folgen eines globalen Wirtschaftsabschwungs konfrontiert, der zu einem Rückgang unseres Bruttoinlandsprodukts von etwa 5 Prozent führen könnte. Auch die Zinspolitik der Notenbanken könnte durch dann wieder weltweit steigende Inflationsraten beeinträchtigt werden. Infolgedessen wären möglicherweise sogar eher Zinserhöhungen erforderlich, um die Inflation wieder zu bändigen.

Unterm Strich ist festzuhalten, dass ein weiterer Krieg in Asien die Weltwirtschaft in erheblichem Maße destabilisieren und insbesondere für Deutschland massive wirtschaftliche Belastungen mit sich bringen könnte. Aber zumindest vorerst ist das in unseren Augen kein realistisches Szenario. Der Konflikt wird wahrscheinlich weiter schwelen. Daher gehen wir mit großer Wahrscheinlichkeit davon aus, dass unser Bruttoinlandsprodukt im kommenden Jahr um knapp über Null Prozent wachsen wird und dass die Inflation weiterhin in Richtung Zielwert von 2 Prozent tendiert.

Welche Branchen in Deutschland wären von einer Blockade Taiwans besonders betroffen, und wie können die Verbraucherinnen und Verbraucher mögliche Preissteigerungen oder Lieferengpässe abfedern?

Vor allem wäre unsere Halbeiterindustrie davon betroffen und alle Sektoren, die damit zu tun haben. Das liegt daran, dass wir es noch immer nicht geschafft haben, uns von den asiatischen Importen vollkommen unabhängig zu machen. Zu den am meisten betroffenen Industrien zählt in meinen Augen neben der Elektronik- die Automobilindustrie. Sie ist in besonderem Maß auf Halbleiter angewiesen, um moderne Funktionen wie Assistenzsysteme und Elektromotoren zu steuern. Die Blockade Taiwans würde gerade hier zu Produktionsengpässen und höheren Preisen führen. Aber auch in der Elektronikindustrie wären Lieferengpässe und höhere Kosten wahrscheinlich. Zu den anderen relevanten Sektoren gehören der Maschinenbau, die Informations- und Kommunikationstechnologie. Sie alle wären durch Engpässe in der Versorgungskette betroffen.

Unsere Verbraucherinnen und Verbraucher könnten den Konsequenzen dieses Konflikts entgegenwirken, indem sie Vorsorge treffen und mögliche Anschaffungen in den genannten Bereichen umsichtig planen. Unternehmen könnten schon jetzt versuchen, auf Produkte aus anderen Regionen auszuweichen, die nicht aus dem asiatischen Raum kommen. Außerdem können sie Lieferketten, wie schon begonnen, nun noch schneller in den Heimatmarkt verlagern. So können sie ihre Abhängigkeit von taiwanesischen Halbleitern oder auch von chinesischen Waren und Dienstleistungen weiter reduzieren.

Am Ende zeigt sich, wie wichtig es für uns als Sparkassen-Finanzgruppe ist, solche Ereignisse immer im Blick zu behalten. Der Leitsatz „Think global – act local“, der Sparkassen weltweit vereint, wird hier ganz klar spürbar.

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Stand: 20.12.2024

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